Galerie Michael Schultz
watching the world walk by in its curious shoes
(Lawrence Ferlinghetti aus "A Coney Island of the Mind")
An Franz Meiller zieht die Welt vorbei. Mindestens die eine. Er schaut ihr zu. Beobachtet sie. Also sich. Was sonst? The colors of the rainbow so pretty in the sky are also on the faces of people going by (L. Armstrong) Natürlich ist auch er unentrinnbar Teil, Spiegel-, Abbild der Allheit des Vielen in Einem, aber irgendwie gelingt es ihm immer wieder, aus der Welt herauszufallen, also einen HALT zu finden, sich mindestens gemächlicheren Strömungsgeschwindigkeiten auszusetzen. Der Künstler bleibt bei sich und mit-ein-Ander(er), wird Chronist, Zeuge, dabei selbstverständlich verstrickt in Zeit und Raum, beeinflusst, kujoniert, geerdet von Polymetrik, Vielklang, Bilderflut. Sein In-der-Welt-Sein ist bestimmt von ständiger Bewegung, wechselnden Perspektiven. Wer, wenn nicht Franz Meiller, kann davon künden?! Sammle nur Rosenknospen, solang du kannst/ die alte Zeit verfliegt dir doch (Robert Herick). Nur: Die Zeit fließt nicht, sie existiert einfach. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind nur Illusionen, wenn auch hartnäckige (A. Einstein). Dem gegenwärtigen Augenblick ist jede absolute, universelle Bedeutung abzusprechen. Gleichzeitigkeit ist ein relativer Begriff. Zwei Ereignisse, die von einem Bezugssystem aus beobachtet im selben Augenblick stattfinden, können von einem anderen Bezugssystem aus zu unterschiedlichen Zeiten eintreten. Unterschiede solcher Art vereiteln jeden Versuch, dem gegenwärtigen Augenblick besondere Bedeutung zu verleihen, denn auf wessen "Jetzt" bezieht sich dieser Moment?
Für den Interessenten, der sich auf den Weg in eine Meiller-Ausstellung macht, gehören die ausgestellten Bilder noch zu einer unentschiedenen Zukunft, für den Besucher, der die Fotografien gerade betrachtet, zur ein-, zwei-, x-deutigen Gegenwart, für den Künstler selbst bereits zur feststehenden Vergangenheit. In Momenten des vermeintlichen/tatsächlichen Inne- und Festhaltens ist Franz Meiller nicht abgespalten von, ist vielmehr aufgespalten in der Welt. Nutzt das glücklicherweise so geschmackvoll wie schamlos aus. Macht Bilder. Ausschnitte, die ihm von und in allen Welten angeboten, vorgegeben werden. Hat er Einfluss auf das, was er sucht und findet? Trifft er eine (Aus-)Wahl?
Sein Statement: Nicht ich als `Akteur´ mit der Kamera suche nach dem inszenierten Bild, sondern es verhält sich andersherum, dass nämlich die Welt an mir vorbeizieht, neugierig, vielleicht gar nicht auf mich, ständig in Bewegung, unüberschaubar für mich, weil ich ja immer nur einen Ausschnitt überblicken kann, allenfalls eine Richtung festzustellen in der Lage bin. Auch die sich daraus ergebende Tatsache, dass das "Festhalten" eines Bildes ein Vorgang des Schauens, des Zeuge-Seins ist, der dieser sich neugierig vorbeibewegenden Welt vielleicht nicht einmal bewusst ist. Und für sie ganz und gar nicht relevant. Autorenschaft ist ein Konstrukt. Was ist von mir? Schon ich selbst bin nicht von mir (Sophie Rois). Ein Bild ist voll von unzählig anderen, sowohl zuvor gefundenen/gesuchten, also geschaffenen wie noch zu entdeckenden Bildern, Teil des/eines lückenlos Zusammenhängenden, an dem Franz Meiller leidenschaftlich wie demütig mitwirkt. Und ihm ist nur zu bewusst, dass seine Bilder bereits im Augenblick ihres Entstehens essentielle Teile unzähliger und sehr bewegter Energien sind.
Er schaut zu, wie die Welt vorübergeht. Festhalten bleibt ein Traum. Ein schöner, tröstlicher, schäumen-der. Ausschnitthaft kann ich sie im Foto beim Vorüberziehen "festhalten", die Welt, aber nur für mich, sie weiß ja nichts davon und ist inzwischen eh schon woanders. Die Ausschnitte liegen dann vor, als Fragmente, und bilden die Welt ab, aber mit riesigen Lücken. Die Lücken finde ich interessant. Die Bruchstücke, das Nicht-Kontinuierliche, das Unverbundene, ja teils Gegensätzliche. Die spektakulären Momente und die unscheinbaren. Und dann hängen alle nebeneinander, verbunden durch diese Lücken, auf die keiner schaut. (Franz Meiller) Die aber überhaupt nicht existieren. Die Lücken. Die Verbindungen sind doch trotz aller Fragmentierungen, Bearbeitungen, Gegensätzlichkeiten einfach da, vorgegeben. Vielleicht in diesem und jenem Moment nicht sicht-, aber immer spürbar.
Franz Meiller arbeitet – und natürlich hat das mit seiner Empfindsamkeit und seinem Können wie den ihm gemachten Zureichungen zu tun – mit/an einer ausladenden, symphonisch anmutenden BilderWELT. Und weiß um die wundervolle Kraft von Stille, Pause, Bruch. Anderes bleibt ihm nicht übrig. Die Tuttipas-sagen hängen scheinbar eingefroren/fixiert an den Wänden. Nur scheinbar absurd, nicht wirklich getrennt. Tatsächlich wild bewegt tönend. Spätestens sei John Cages 4´33´´ wissen wir um das Dazwischen, Daneben, Davor, Dahinter, die links und knots, der Absenz von Stille. Tröstlich wie spannend. Zum Glück verwirrend. Und erst beim Erspüren, Durchschauen, Erhören des Gesamten beginnen wir zu ahnen, welcher Part – Mitspieler, Rezipient, Beides - uns zugewiesen ist, was uns mit dem Künstler, der Spaziergängerin am Meer, der Mopedfahrerin auf der Straße, dem Kletterer an der Wand, den Passanten auf dem Gehsteig verbindet.
Franz Meillers schöpferische Ausdrucksmittel und seine eigensinnige künstlerische Wirkmächtigkeit beweisen eindrucksvoll, wie man mit dem nur in Zehntelsekunden zu erledigenden Festhal-ten=Gestalten eines AugenBLICKS Grenzen der Wahrnehmung überschreitet, verschiebt, neu auslotet, damit Sehgewohnheiten in freundlichster Weise bricht und anders sortiert. Die hohe Schule der Fotokunst: Vorgefundenes oder Arrangiertes durchSCHAUEN, leidenschaftlich und/oder kühl kalkulierend erFASSEN, kongenial mit bestem Wissen und unterschiedlichen Apparaturrn festHALTEN - immer in dem Bewusstsein, dem Betrachter mannigfache Möglichkeiten der Mit-, Nachgestaltung bieten zu können.
Die hier ausgestellten neun Arbeiten können unterschiedlicher nicht sein, sind aber „nur“ die akzentuierten, im Moment ganz vorn positionierten Bestandteile einer Serie. Meiller führt uns einmal um die halbe sichtbare Welt und offenbart uns seine eigene, nämlich unsere in fast – mehr geht nicht - vollem Umfang. Und die hat immer mit inneren und äußeren Bewegungen zu tun. Da wird gelaufen, gefahren, gesprungen, gescatet, gebeugt, gewandert. Über die Kontinente, in/an Stadt-Land-Fluss-Meer tun das Menschen unterschiedlichen Geschlechts, jeden Alters von 2012 bis 2017 zu verschiedenen Zeiten. Oder? Also hier und jetzt in dieser Ausstellung haben sie sich/wurden sie zumindest synchronisiert. Ihre Energien, von Franz Meiller erkannt, geschützt, vielleicht bewahrt, auf alle Fälle übereinandergelegt, gar verbunden: Gleichzeitig. Man darf es ruhigen Gewissens wiederholen: Der Meiller kann zaubern! Zur Erinnerung: Groß, sehr groß sind die von Franz Meiller bevorzugten Formate. Bilder in Abmessungen von 3 x 4 Metern sind die Regel. Trotzdem kommen seine Fotografien, ob in leuchtenden Farben oder in schwarzweißer Melancholie, erstaunlich leicht, durchlässig und heiter einladend daher. Es könnte sein, dass die positive Energie seiner Bilder sehr viel mit einer bestimmten Arbeitsweise zu tun hat: Franz Meiller kreiert, gestaltet streng komponierend oder spontan improvisierend ausschließlich beim Aufnehmen. Nachbearbeitungen, photoshoppende Veränderungen, Eingriffe sind seine Sache nicht. Das letzte Wort gebührt dem Künstler: Diese Bilder oder Bruchstücke schauen auf die Betrachter als eine Welt in neugierigen Schuhen, die an ihnen vorübergeht.
Christian Kneisel
Kurator
Galerie Michael Schultz
watching the world walk by in its curious shoes
The world is passing by Franz Meiller. At least one of them. He looks at it. Observes it. Therefore: himself. What else? The colors of the rainbow so pretty in the sky are also on the faces of people going by. (Louis Armstrong). He is, of course, an inescapable part of it, a mirror-image of the totality of the many in one, but somehow, he always succeeds again to fall out of the world, thus to find a STOP, to expose himself to at least more moderate velocities of flow. The artist remains with himself and with-an-other, he becomes a chronicler, a witness, self-evidently entangled in time and space, influenced, tricked, vexed, grounded by a polymetric, polyphonic, flood of pictures. His being-in-the-world is determined by constant movement, changing perspectives. Who, if not Franz Meiller, can proclaim this?!
Collect only rosebuds as long as you can, old times fly past you. (Robert Herick). However: Time does not flow, it simply exists. Past, present, and future are only illusions, though stubborn. (A. Einstein). The present moment must be denied any absolute, universal meaning. Simultaneity is a relative concept. Two events that occur at the same moment from one reference system can occur at different times from another reference system. Differences of this kind thwart any attempt to give the present moment particular importance, for to whose “now” does this moment relate? For the prospective customer, who is on his way to a Meiller exhibition, the exhibited pictures are still an undecided future; for the visitor, who is looking at the photographs at the moment, for the first or second or other present; for the artist himself they belong already to an established past. In moments of the supposed/actual perception and holding, Franz Meiller is not detached from the world, he is rather split within it. He fortunately exploits this tastefully and shamelessly. Makes pictures, uses excerpts offered to him from all over. Does he influence what he seeks and finds? Does he elect or make a selection? His statement: I am not an actor with a camera looking for the staged image; it is quite the opposite: that is, the world moves past me; it is curious, perhaps not about me; it is constantly moving, incapable of being overseen by me, because I can always only survey one part, and in any case can only determine one direction. Also, the resulting fact that the “recording” of a picture is a process of seeing, of being a witness, of which this curiously moving world may not even be aware. And not at all relevant for it. Authorship is a construct. What is from or of me? Even I myself am not of myself. (Sophie Rois).
A picture is full of countless other images, both previously found/sought, thus created, as still to be discovered, part of what is unbrokenly coherent, in which Franz Meiller passionately and humbly participates. And he is only too aware that his images are, at the very moment of their inception, essential parts of innumerable and very moving energies. He watches the world go by. Recording (arresting) it remains a dream. A beautiful, comforting, foaming dream. I can arrest it in the photo when I move past it, the world, but it is only for me, it does not know anything about it and is now already somewhere else. The sections are then there, as fragments, and show the world, but with giant gaps. The gaps I find interesting. The fragments, the non-continuous, the unconnected, indeed partly opposing. The spectacular moments and the inconspicuous. And then they all hang side by side, connected by these gaps, which no one sees. (Franz Meiller) But they do not exist at all. The gaps. Despite all the fragmentations, adaptations, and contradictions, the connections are simply given. Perhaps at this moment not visible, but always perceptible. Franz Meiller works – and, of course, this has to do with his sensitivity and his ability as the remarks made to him – with a broad, symphonic-looking picture world. And he knows the miraculous power of silence, of a pause, of a break. What else can he do? The tutti passages seem to be frozen/fixed to the walls. Only seemingly absurd, not really separate. In fact, wildly moving tones. At the latest, since John Cage’s 4'33'', we know about the In-between, the Next, the Before, the Behind, the Left and the Knots, the Absence of Silence. Consoling, exciting. Fortunately, confusing. And it is only when we feel, see, and listen to the whole that we begin to guess which part – fellow player, listener, both – is assigned to us, what connects the artist with the walker by the sea, the moped driver on the road, the wall climber, the passers-by on the sidewalk.
Franz Meiller’s creative expressive means and his self-centered artistic efficiency show impressively how to transcend the boundaries of perception with the tethers of creation, which is only to be done in tenths of a second, so as to break the visual habits in a friendly way and sort them differently. The high school of photo art: discovering or arranging, looking passionately and/or coolly calculating, congenially with the best knowledge and different apparatuses – always conscious of the fact to offer the viewer various ways of co-design and post-shaping. The nine works exhibited here cannot be more different, but are “only” the accentuated, currently the very top positioned components of a series. Meiller once takes us around half the visible world and reveals to us his own, namely, our own, in almost full extent, but not more. And this always has to do with inner and outer movements. Running, riding, jumping, skating, bending, moving. Over the continents, in/at city-country-river-sea, people of different sexes, from 2012 to 2016, at different times. Or? So here and now in this exhibition they are/have been at least synchronized. Their energies, recognized, protected, perhaps preserved by Franz Meiller, are in any case superimposed, even connected: at the same time. One can repeat it with a clear conscience: Meiller can do magic!
Let us recall: Large, very large are the formats preferred by Franz Meiller. Pictures with dimensions of 3 x 4 meters are the rule. Nevertheless, his photographs, whether in bright shades or in black and white melancholia, are astonishingly light, permeable and cheerfully welcoming. It could be that the positive energy of his images is very much related to a particular way of working: Franz Meiller creates, composes strictly or spontaneously improvised exclusively when he shoots. Post treatments, photo-shopping changes, interventions are not his thing. The final word belongs to the artist: these pictures or fragments look at the viewer as a world in curious shoes, which passes them by.
Christian Kneisel
Curator