Franz Meiller
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Essays

Galerie Michael Schultz "watching the world walk by in its curious shoes"

(Lawrence Ferlinghetti aus "A Coney Island of the Mind")

An Franz Meiller zieht die Welt vorbei. Mindestens die eine. Er schaut ihr zu. Beobachtet sie. Also sich. Was sonst? The colors of the rainbow so pretty in the sky are also on the faces of people going by (L. Armstrong) Natürlich ist auch er unentrinnbar Teil, Spiegel-, Abbild der Allheit des Vielen in Einem, aber irgend-wie gelingt es ihm immer wieder, aus der Welt herauszufallen, also einen HALT zu finden, sich min-destens gemächlicheren Strömungsgeschwindigkeiten auszusetzen. Der Künstler bleibt bei sich und mit-ein-Ander(er), wird Chronist, Zeuge, dabei selbstverständlich verstrickt in Zeit und Raum, beein-flusst, kujoniert, geerdet von Polymetrik, Vielklang, Bilderflut. Sein In-der-Welt-Sein ist bestimmt von ständiger Bewegung, wechselnden Perspektiven. Wer, wenn nicht Franz Meiller, kann davon künden?! Sammle nur Rosenknospen, solang du kannst/ die alte Zeit verfliegt dir doch (Robert Herick). Nur: Die Zeit fließt nicht, sie existiert einfach. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind nur Illusionen, wenn auch hartnäckige (A. Einstein). Dem gegenwärtigen Augenblick ist jede absolute, universelle Bedeutung abzusprechen. Gleichzeitigkeit ist ein relativer Begriff. Zwei Ereignisse, die von einem Bezugssystem aus beobachtet im selben Augenblick stattfinden, können von einem anderen Bezugs-system aus zu unterschiedlichen Zeiten eintreten. Unterschiede solcher Art vereiteln jeden Versuch, dem gegenwärtigen Augenblick besondere Bedeutung zu verleihen, denn auf wessen »Jetzt« bezieht sich dieser Moment? Für den Interessenten, der sich auf den Weg in eine Meiller-Ausstellung macht, gehören die ausgestellten Bilder noch zu einer unentschiedenen Zukunft, für den Besucher, der die Fotografien gerade betrachtet, zur ein-, zwei-, x-deutigen Gegenwart, für den Künstler selbst bereits zur feststehenden Vergangenheit. In Momenten des vermeintlichen/tatsächlichen Inne- und Festhaltens ist Franz Meiller nicht abgespal-ten von, ist vielmehr aufgespalten in der Welt. Nutzt das glücklicherweise so geschmackvoll wie schamlos aus. Macht Bilder. Ausschnitte, die ihm von und in allen Welten angeboten, vorgegeben werden. Hat er Einfluss auf das, was er sucht und findet? Trifft er eine (Aus-)Wahl? Sein Statement: Nicht ich als `Akteur´ mit der Kamera suche nach dem inszenierten Bild, sondern es verhält sich an-dersherum, dass nämlich die Welt an mir vorbeizieht, neugierig, vielleicht gar nicht auf mich, ständig in Bewegung, unüberschaubar für mich, weil ich ja immer nur einen Ausschnitt überblicken kann, allenfalls eine Richtung festzustellen in der Lage bin. Auch die sich daraus ergebende Tatsache, dass das "Festhalten" eines Bildes ein Vorgang des Schauens, des Zeuge-Seins ist, der dieser sich neugie-rig vorbeibewegenden Welt vielleicht nicht einmal bewusst ist. Und für sie ganz und gar nicht rele-vant. Autorenschaft ist ein Konstrukt. Was ist von mir? Schon ich selbst bin nicht von mir (Sophie Rois). Ein Bild ist voll von unzählig anderen, sowohl zuvor gefundenen/gesuchten, also geschaffenen wie noch zu entdeckenden Bildern, Teil des/eines lückenlos Zusammenhängenden, an dem Franz Meiller leidenschaftlich wie demütig mitwirkt. Und ihm ist nur zu bewusst, dass seine Bilder bereits im Augenblick ihres Entstehens essentielle Teile unzähliger und sehr bewegter Energien sind. Er schaut zu, wie die Welt vorübergeht. Festhalten bleibt ein Traum. Ein schöner, tröstlicher, schäumen-der. Ausschnitthaft kann ich sie im Foto beim Vorüberziehen "festhalten", die Welt, aber nur für mich, sie weiß ja nichts davon und ist inzwischen eh schon woanders. Die Ausschnitte liegen dann vor, als Fragmente, und bilden die Welt ab, aber mit riesigen Lücken. Die Lücken finde ich interessant. Die Bruchstücke, das Nicht-Kontinuierliche, das Unverbundene, ja teils Gegensätzliche. Die spektakulä-ren Momente und die unscheinbaren. Und dann hängen alle nebeneinander, verbunden durch diese Lücken, auf die keiner schaut. (Franz Meiller) Die aber überhaupt nicht existieren. Die Lücken. Die Verbindungen sind doch trotz aller Fragmentierungen, Bearbeitungen, Gegensätzlichkeiten einfach da, vorgegeben. Vielleicht in diesem und jenem Moment nicht sicht-, aber immer spürbar. Franz Meiller arbeitet – und natürlich hat das mit seiner Empfindsamkeit und seinem Können wie den ihm gemach-ten Zureichungen zu tun – mit/an einer ausladenden, symphonisch anmutenden BilderWELT. Und weiß um die wundervolle Kraft von Stille, Pause, Bruch. Anderes bleibt ihm nicht übrig. Die Tuttipas-sagen hängen scheinbar eingefroren/fixiert an den Wänden. Nur scheinbar absurd, nicht wirklich ge-trennt. Tatsächlich wild bewegt tönend. Spätestens sei John Cages 4´33´´ wissen wir um das Dazwi-schen, Daneben, Davor, Dahinter, die links und knots, der Absenz von Stille. Tröstlich wie spannend. Zum Glück verwirrend. Und erst beim Erspüren, Durchschauen, Erhören des Gesamten beginnen wir zu ahnen, welcher Part – Mitspieler, Rezipient, Beides - uns zugewiesen ist, was uns mit dem Künst-ler, der Spaziergängerin am Meer, der Mopedfahrerin auf der Straße, dem Kletterer an der Wand, den Passanten auf dem Gehsteig verbindet. Franz Meillers schöpferische Ausdrucksmittel und seine eigensinnige künstlerische Wirkmächtigkeit beweisen eindrucksvoll, wie man mit dem nur in Zehntelsekunden zu erledigenden Festhal-ten=Gestalten eines AugenBLICKS Grenzen der Wahrnehmung überschreitet, verschiebt, neu auslo-tet, damit Sehgewohnheiten in freundlichster Weise bricht und anders sortiert. Die hohe Schule der Fotokunst: Vorgefundenes oder Arrangiertes durchSCHAUEN, leidenschaftlich und/oder kühl kalku-lierend erFASSEN, kongenial mit bestem Wissen und unterschiedlichen Apparaturrn festHALTEN - immer in dem Bewusstsein, dem Betrachter mannigfache Möglichkeiten der Mit-, Nachgestaltung bieten zu können. Die hier ausgestellten neun Arbeiten können unterschiedlicher nicht sein, sind aber „nur“ die akzentu-ierten, im Moment ganz vorn positionierten Bestandteile einer Serie. Meiller führt uns einmal um die halbe sichtbare Welt und offenbart uns seine eigene, nämlich unsere in fast – mehr geht nicht - vollem Umfang. Und die hat immer mit inneren und äußeren Bewegungen zu tun. Da wird gelaufen, gefahren, gesprungen, gescatet, gebeugt, gewandert. Über die Kontinente, in/an Stadt-Land-Fluss-Meer tun das Menschen unterschiedlichen Geschlechts, jeden Alters von 2012 bis 2017 zu verschiedenen Zeiten. Oder? Also hier und jetzt in dieser Ausstellung haben sie sich/wurden sie zumindest synchronisiert. Ihre Energien, von Franz Meiller erkannt, geschützt, vielleicht bewahrt, auf alle Fälle übereinanderge-legt, gar verbunden: Gleichzeitig. Man darf es ruhigen Gewissens wiederholen: Der Meiller kann zau-bern! Zur Erinnerung: Groß, sehr groß sind die von Franz Meiller bevorzugten Formate. Bilder in Abmes-sungen von 3 x 4 Metern sind die Regel. Trotzdem kommen seine Fotografien, ob in leuchtenden Far-ben oder in schwarzweißer Melancholie, erstaunlich leicht, durchlässig und heiter einladend daher. Es könnte sein, dass die positive Energie seiner Bilder sehr viel mit einer bestimmten Arbeitsweise zu tun hat: Franz Meiller kreiert, gestaltet streng komponierend oder spontan improvisierend ausschließ-lich beim Aufnehmen. Nachbearbeitungen, photoshoppende Veränderungen, Eingriffe sind seine Sa-che nicht. Das letzte Wort gebührt dem Künstler: Diese Bilder oder Bruchstücke schauen auf die Betrachter als eine Welt in neugierigen Schuhen, die an ihnen vorübergeht.

Christian Kneisel


Franz Meiller [2polar]

Die Fotografie hat unsere Wahrnehmung der Welt geprägt und unser Verhältnis zur Wirklichkeit verändert. Sie ist, mehr noch als bewegte, erst recht als gemalte Bilder, das allgegenwärtige Medium unserer Zeit, beständiger Bestandteil unseres Alltags. Jedermann ist ihr als Rezipient in nahezu jeder Lebenslage ausgesetzt. Jedermann versucht sich zudem als aktiver Gestalter und verfügt über immer bessere technologische Möglichkeiten, sein Lebensumfeld und zunehmend sich selbst abbilden zu können.

Seit der Erfindung der Fotografie um 1839 wird immer wieder die Frage gestellt, ob ein Massenmedium Kunst sein kann. Selbst der bedeutende Fotograf Henri Cartier-Bresson (1908 – 2004) stellte klar: „Die Fotografie ist ein Handwerk. Viele wollen daraus eine Kunst machen, aber wir sind einfach Handwerker, die ihre Arbeit gut machen müssen.“ Henry Fox Talbot (1800 - 1877), der Erfinder des fotografischen Abzugs auf Papier, war aber bereits vor 160 Jahren der Ansicht, die Fotografie sei „eindeutig ein Werkzeug, das in die Hände des findigen Geistes und der Kunst“ gehöre.

Erste Anerkennung als Kunstform bekam die Fotografie durch die epochemachende, von Alfred Stieglitz (1864 - 1946) herausgegebene Fotozeitschrift „Camera Work“ und die gleichnamige New Yorker Ausstellung im Jahr 1917. Walker Evans (1903 – 1975) war der erste Fotograf, dem das Museum of Modern Art im Jahr 1938 eine monografische Ausstellung widmete. Der Ausstellungskatalog „American Photographs“ ist das erste Künstlerbuch in der Geschichte der Fotografie. Spätestens die von neun deutschen, niederländischen und schweizerischen Museen organisierte „Weltausstellung der Fotografie“, die 555 Fotos von 264 Fotografen aus 30 Ländern zum Thema „Was ist der Mensch?“ präsentierte, verhalf 1964 der Fotografie als Kunstform zum internationalen Durchbruch.

Trotzdem verstummen bis heute nicht jene Stimmen, die der Fotografie die Anerkennung als „autonome Kunst“ streitig machen. Tatsächlich sind Argumente wie „Der Fotograf kann die Welt nur abbilden, der Maler hingegen transzendiert die Wirklichkeit!“ oder „In der Fotografie kann allein deswegen nicht von einem Original gesprochen werden, weil sich von jedem Negativ bzw. von jeder digitalen Vorlage unzählige Abzüge herstellen lassen!“, längst widerlegt.

Die häufig gestellte Frage, welche Aspekte der fotografischen Produktion ihr einen Werkscharakter verleihen, ist von bedeutenden Fotokünstlern mit ihren Arbeiten hinreichend beantwortet worden. Franz Meiller ist einer von ihnen. Seine schöpferischen Ausdrucksmittel und seine eigensinnige künstlerische Wirkmächtigkeit beweisen eindrucksvoll, wie man mit dem nur in Zehntelsekunden zu erledigenden Festhalten=Gestalten eines AugenBLICKS Grenzen der Wahrnehmung überschreitet, verschiebt, neu auslotet und damit Sehgewohnheiten in freundlichster Weise bricht und anders sortiert. Die hohe Schule der Fotokunst: Vorgefundenes oder Arrangiertes durchSCHAUEN, leidenschaftlich und kühl kalkulierend erFASSEN, kongenial mit bestem Wissen und unterschiedlichen Apparaturen festHALTEN - immer in dem Bewusstsein, dem Betrachter mannigfache Möglichkeiten der Mit- und Nachgestaltung bieten zu können.

Die zwei Frauen auf der Straße (Zwei Frauen, München, 2016), die Schauspieler auf der Bühne (Hands Up, Otto Falckenberg Schule, 2011), stehen stellvertretend für die vielen Bilder, die dem Schauenden unterschiedlichste Räume der Phantasie und Imagination öffnen und ihn einladen, die jeweilige Geschichte in seiner Weise weiter oder ganz anders zu erzählen. Das gelingt bei der Auseinandersetzung mit fotokünstlerischen Werken immer, beim Betrachten von Abbildungen eher selten.

Meiller entdeckt, erkennt im Alltäglichen das Besondere, im Einzigartigen das Bekannte - in allem das Widersprüchliche und Ambivalente. Seine Aufnahmen aus Grönland (Grönland, 2012) oder Griechenland (Verdeckt, Griechenland, 2008) machen Leer- und Zwischenräume deutlich sicht-, mehr noch spürbar. Die in Düsseldorf (Abgespielt, 2007) und Leipzig (Ankunft, 2012) entstandenen, Ankunft und Abschied im Theater thematisierenden Bilder, setzen den Betrachter einem Wechselbad verheißungsvollen Aufbruchs wie beginnender Einsamkeit aus. Die Liste der Meiller interessierenden und umtreibenden Gegensätzlichkeiten ist lang. Ihn fasziniert das Schwarzweiße, Dunkelhelle, Buntgraue, Scharfverschwommene. Beeindruckend ist, wie unterschiedlich, wie wechselhaft sich Franz Meiller den Subjekten seiner künstlerischen Begierden nähert. Das Bild des an einem öffentlichen Telefon stehenden Jungen (Ohren, Kuba, 2014) ist eine Moment!Aufnahme, die nur dem gelingen kann, der sich Beobachtungsgabe, Blickweise und Spontanität eines Kindes erhalten hat. Franz Meiller findet und gestaltet Motive, aber Motive sind auch auf der Suche nach ihm. Das Werk [2polar] von 2016, Passanten vor einem Münchner Friseursalon, wurde mit der sinnlichen Präzision eines Komponisten geschaffen. Bei aller Unterschiedlichkeit eint das übrigens alle Werke Franz Meillers. Man imaginiert beim Betrachten beispielsweise eines Moped fahrenden Mädchens (Girl on moped, Ho-Chi-Minh-Stadt, 2016) oder eines Meereswellen entfliehenden Jungen (Flucht, San Sebastian, 2015) nicht nur die inhärenten (Motoren-, Brandungs-)Geräusche sondern vielfältigste Klangwelten. Meillers Bildkompositionen erzeugen im Kopf des Schauenden mannigfaltige Verknüpfungen – von harmonischen Tonfolgen bis zum dissonanten Cluster. Da kann die Konfrontation mit tosender Stille (Prozession, Niederbayern, 2010) eine willkommene, (scheinbar) erholsame Abwechslung sein.

Eine Fotografie taugt wenig als Abbild der Realität, die Objektivität fotografischer Bilder ist immer eine scheinbare. Franz Meiller macht uns das in besonders feinsinniger Weise bewusst. Er sucht und findet vermeintlich wie tatsächlich gegensätzliche, sich dennoch immer gegenseitig bedingende Pole. Er sieht, egal ob nebenan oder draußen in der Welt, immer genau und stets anders hin! Ganz gleich, ob er geduldig auf den richtigen Augenblick wartet oder spontan auslöst, immer gelingt es ihm, den entscheidenden, den unvergleichlichen und spannungsvollen Moment einer Situation, ja auch eines Gegenstandes einzufangen. Mit den Bildern eines vor oder von einem imposanten Kunstwerk laufenden Mädchens (Invasion, Normandie, 2009) und einer vor einem Bunker innehaltenden Frau (Torso, Andalusien, 2013) wird Franz Meiller zum erinnernden Chronisten. Er stellt diese Bilder bewusst gegen-, nebeneinander. Die Werke sind in sich und im Verhältnis zueinander widersprüchlich, gegensätzlich wie korrespondierend: Die beiden rot gekleideten Menschen scheinen vor den Mahnmalen fast zu verschwinden, tatsächlich behaupten sie sich und helfen dem Betrachter allein durch Körperhaltung bzw. Bewegung, die Erinnerungen an Angriff und Verteidigung, an Befreiung und Aggression deutlicher fassen zu können.

Die Mühsal des in unwirtlicher Landschaft bei schlechtem Wetter Wandernden (Heimwärts, Sizilien, 2008), die aufgeregt-konzentrierte Freude eines Wassersportlers (Wassersport, Kärnten, 2007) stehen beispielhaft für das oben genannte Thema „Was ist der Mensch?“, das auch für die Kunst Franz Meillers das bestimmende ist. Von wenigen Ausnahmen abgesehen schafft er Fotografien, in deren Mittelpunkt widersprüchlich Menschliches verhandelt wird - ohne zu versäumen, im selben oder im benachbarten Bild auf das darüber Hinausgehende, die Natur, die Schöpfung, zu verweisen. Franz Meiller nähert sich immer mit Respekt und Demut, allerdings auch mit viel Mut und noch mehr Heiterkeit Menschen, Landschaften, Horizonten, dem Ähnlichen und Nahen, dem Fernen und Fremden. Er weiß um den empathischen Umgang mit dem Lebendigen, um den angemessenen mit dem Erkalteten. Das ist sehr fein und dringend nötig. Groß, sehr groß sind die von Franz Meiller bevorzugten Formate. Bilder in Abmessungen von 3 x 4 Metern sind die Regel. Trotzdem kommen seine Fotografien, ob in leuchtenden Farben oder in schwarzweißer Melancholie, erstaunlich leicht, durchlässig und heiter einladend daher. Es könnte sein, dass die positive Energie seiner Bilder sehr viel mit einer bestimmten Arbeitsweise zu tun hat: Franz Meiller kreiert, gestaltet streng komponierend oder spontan improvisierend ausschließlich beim Aufnehmen. Nachbearbeitungen, digitale Veränderungen, Eingriffe, sind seine Sache nicht. Franz Meiller ist angetreten, die Kunsthalle Brennabor zu verzaubern. Ich gehe jede Wette ein, dass ihm das gelingen wird!

Christian Kneisel
Kurator Kunsthalle Brennabor

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Die Binnenräume der Menschen

Über die Ausstellungen des Fotografen Franz Meiller

Ganz selten nur ruft das Betrachten von Bildern die Erinnerung an einen Text wach. Im Fall von Franz Meillers neuen Fotoarbeiten jedoch geschieht es unmittelbar. Das ist kein Zufall, denn zwischen den von Meiller gestalteten Ausstellungen und den Sätzen des im Folgenden zu Wort kommenden Kunst- und Architekturphilosophen Franz-Xaver Baier besteht eine verblüffende Verwandtschaft:

„Der Lebensraum, in dem ein Mensch wohnt, sich bewegt und orientiert, ist für andere Menschen wesentlich unsichtbar. Wir sehen zwar die Leute, wie sie durch die Städte laufen. Aber wir sehen nicht, wie sie eingeräumt sind. Wir sehen nicht, was den Menschen erschlossen und verschlossen ist, was Bedeutung hat und was nicht. Wir sehen nicht die Raumkorridore und spezifischen Engpässe, die Stellen, die Angst machen und die Stellen, die wieder weiter machen. Kurz: Wir sehen nicht die Binnenräume der Menschen mit ihren persönlichen Landkarten und wir haben keinen unmittelbaren Zugang zu der Welt eines anderen“. (Franz-Xaver Baier)

Eine eigenartige Vertrautheit geht von diesen Sätzen aus. Doch woher stammt dieses Gefühl? Vermutlich daher, weil der Raumtheoretiker Baier durch Sprache einen Umstand zu fassen bekommt, der das tägliche, unaufhörliche Denken wie kein anderer beherrscht und strukturiert. Kaum ein Phänomen wirft so viele Fragen auf, wie jenes von der Rätselhaftigkeit und Unantastbarkeit der Binnenräume der Menschen. Zwar dauert es keine Sekunde, dem Wahrheitsgehalt der Beschreibungen Baiers zuzustimmen. Nicht selten ein ganzes Leben hingegen der Versuch, das Gegenteil zu beweisen. Denn darum geht es, wenn Menschen sich in Räumen begegnen: Um den unbedingten Wunsch, einen Zusammenhang herzustellen, wo es keinen gibt. Die eigene Neugier zu stillen mit Mutmaßungen über die Existenz der Anderen. Eine einzige, kraftraubende Wiederholungsschlaufe. Das ist das eine. Das andere: der widersprüchliche, stets aufs Neue durchgeführte Versuch ist unvergleichlich produktiv. Er initiiert das Verlangen, die sich stets erneuernde Erfahrung von Vergeblichkeit in etwas zu verwandeln, was nicht im Denkstrom des Einzelnen versickert. In Sprache, in Klänge, in Bilder. Gerade weil die Binnenräume der Menschen nicht zu fassen sind, muss man sie zu fassen bekommen. Und genau das ist es, was geschieht, wenn der Künstler Franz Meiller seine persönliche Landkarte zugänglich macht. Die fotografischen Arbeiten von Meiller, zumeist in großformatigen Bildpaaren angeordnet, erscheinen wie lang ausgehaltene Blicke auf genau jene Wirklichkeitsbereiche, die Franz-Xaver Baier Raumkorridore nennt. In ihnen kulminiert das Total aller vorstellbaren Möglichkeiten von Leben und Wahrnehmung:

eine im Sprung befindliche Person, die den oberen Rand einer Wand zu erreichen versucht; eine in beunruhigenden Rottönen fotografierte Hand, die beim Abrutschen tiefdunkle Spuren hinterlässt; die Momentaufnahme einer festlichen Gesellschaft, bei dem riesige fluoreszierende Lüster den Festredner überblenden; zwei halboffene blaue Telefonkabinen, in denen ein Kind zu telefonieren versucht. Indem Meiller zutiefst heterogene, jegliche Ort- und Zeitkoordinaten außer Kraft setzende Situationen versammelt, unterwandert er den Versuch, den von ihm gezeigten Bildern und Situationen Geschichten zuzuordnen.

„Raum von überfordernder Gleichzeitigkeit.“

Vielmehr erfindet er durch Anordnung und Format seiner Fotografien einen Raum von überfordernder Gleichzeitigkeit. Keine aus dem Zusammenhang gerissene, und daher unbegreifliche Einzelereignisse stellt Meiller vor; es ist der chaotische Erinnerungs- und Wahrnehmungsstrom als solches, den die Ausstellung thematisiert.

In diesem bilderreichen Strom geben die Widersprüche das Tempo an. Und lösen sich schließlich zugunsten einer solchen Wahrnehmung auf, die nicht mehr die Binnenräume der Anderen von den eigenen zu trennen sucht, sondern von der totalen und permanenten Durchdringung derselben ausgeht:

„Wir kommen nicht irgendwie in Raum und Zeit vor, sondern wir sind selbst räumlich und zeitlich. Wir existieren räumlich wie zeitlich. Wir müssen also Sein und Zeit und Raum durch unsere Existenz leisten. Das ist der radikale Sinn von Wirklichkeit.“ (Franz-Xaver Baier)

Malte Ubenauf

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Franz Meiller
 [2polar]

Lassen Sie mich mit einer Textpassage aus Sten Nadolnys Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ beginnen. Nadolny erzählt darin die Geschichte des britischen Seeoffiziers und Entdeckers John Franklin, dessen Augen und Ohren jeden erdenklichen Augenblick eigentümlich lange festhalten konnten. John Franklin war ein langsamer Mensch.

Zitat:
„John Franklin war schon zehn Jahre alt und noch immer so langsam, dass er keinen Ball fangen konnte. Er hielt für die anderen die Schnur. 
Vom tiefsten Ast des Baums reichte sie herüber bis in seine emporgestreckte Hand. Er hielt sie so gut wie der Baum, er senkte den Arm nicht vor dem Ende des Spiels. Als Schnurhalter war er gesegnet wie kein anderes Kind.
Aus dem Fenster des Rathauses sah der Schreiber herüber. 
Sein Blick schien anerkennend.“

Langsamkeit wird häufig als etwas Negatives empfunden, andererseits wird der Begriff dem technischen Fortschritt, der Schnelllebigkeit und dem Leistungsanspruch unserer Zeit gegenübergestellt: denn Lebensgefühl, Menschlichkeit und Selbstgewissheit sind ohne ein Innehalten nicht möglich.

Tempo herauszunehmen bedeutet, aus einem anderen Blickwinkel zu schauen. So wie sich bei John Franklin die Eindrücke festsetzten, er die Zeit anders wahrnahm als wir, so weiß man von einigen Menschen, dass sie eine (relative) Zeitspanne zu ihren Gunsten manipulieren, dehnen können, um ihren Wahrnehmungskreis zu erweitern. Profisportler entwickeln beispielsweise eine besondere Art der Wahrnehmung: sie können den Ball in reduzierter Geschwindigkeit fliegen sehen. Abläufe zu verlangsamen, macht Sinn, ist dem Alltag aber nicht zuträglich. Oft hetzen wir von A nach B – nicht der Weg ist das Ziel sondern Ziele benötigen dummerweise Wege- besser,es ginge ohne.

Im Grunde mögen wir also keine Verzögerungen, Langsamkeit geht uns auf die Nerven. Auch die Geräte, die uns umgeben, wie Smartphones sind auf Schnelligkeit ausgelegt, alles hat schnell zu funktionieren, ja schon die Anmutung von Schnelligkeit zu suggerieren. Einige der neuesten Smartphones haben eine Live-Foto Funktion, mit der sich das fotografierte Geschehen kurz bewegt, quasi zurückspult um selbst noch die Sekundenbruchteile vor dem Entstehen festzuhalten. Diese Geräte sagen uns außerdem, was wir wann zu tun haben.

Das verschließt uns, es mangelt uns an Achtsamkeit. Natürliche Zusammenhänge unserer Welt werden nicht mehr wahrgenommen oder wir beachten sie nicht. Und wenn, geht es zu schnell. Die Momente entschlüpfen. Die Zeit verrinnt.

Diese veränderte Lebensgeschwindigkeit ist ein soziokulturelles Phänomen und Sten Nadolnys Buch eine Warnung. Sein Roman befreit den Begriff der Langsamkeit vom Negativ- Image, wendet seine ursprüngliche Konnotation ins Entspannte, und es verwundert, wie es dem Autor gelingt, damit wiederum einen Spannungsbogen aufzubauen.

Franz Meillers Fotografien setzten sich mit all diesen Themenkreisen auseinander. Die Arbeiten spielen mit den Polen Ruhe und Anspannung. 
Meiller fokussiert ungewöhnliche Augenblicke, Situationen, Begegnungen.
Zum Beispiel seine Fotografie Bipolar.

Wir folgen einem Geschehen, das sich vor einem Gebäude mit der Aufschrift FRISEUR abspielt. Diese Aufschrift wirkt befremdlich und vertraut zugleich, besitzt eine Art Allgemeingültigkeit, es ist nicht aufgeführt, um welchen Friseur es sich handelt. Vor diesem Gebäude flitzen drei junge Frauen auf ihren Inline Skates von rechts nach links - ihre schnelle Bewegung äußert sich in den verschwommenen Konturen. 
Im Hintergrund geht an einem Stock, gebeugt, eine ältere Dame von links nach rechts – ein Gegensatz, wie er kontrastreicher nicht sein könnte: links – rechts, alt – jung, schnell – langsam. Am rechten Bildrand befindet sich ein Mann, er scheint regungslos, vermutlich geht er jedoch besonders langsam, so dass diese Täuschung entsteht.

Franz Meillers Fotografien schmuggeln wie nebenbei das Recht ein, die Welt in ihrer jeweiligen Geschwindigkeit zu entdecken. Jede der Fotografien spiegelt sein Gespür für das Besondere im Einfachen. Er macht auf das Naheliegende aufmerksam, setzt das, was uns vertraut ist in einen neuen Zusammenhang, verwirft gewohnte Ordnungen und weist auf Außer-ordentliches hin.

Meillers Fotos sind weder arrangiert noch nachträglich bearbeitet. Wir sind versucht dies anzunehmen, da vielfach ungewöhnliche Konstellationen abgebildet werden. Meiller wendet sich aber vehement gegen jeden Anwurf von Inszenierung. Er ist jemand, der auf der Suche ist, von kreativer Unruhe getrieben. Entdeckt Stadträume in Spiegelungen, Menschen in besonderen Situationen. Intuitiv erspürt Franz Meiller Szenarien, findet den richtigen Zeitpunkt, um das Foto zu schießen, ja, vielleicht auch mit dieser magischen Fähigkeit, einen Zeitraum zu dehnen.

Gute Fotografen, übrigens auch gute Künstler aus dem bildenden Metier lassen sich durchaus und explizit auf das Unvorhersehbare ein. Henning Christiansen, ein Weggefährte von Joseph Beuys schrieb vor Jahren einmal auf eine der Wände unseres Museums (Kunsthalle Rostock, Anm.d.Verf.):
„Die Freiheit ist um die nächste Ecke“. 
Er meint damit, das Überraschende, das Überwältigende findet nur statt, wenn man vorher im Ungewissen ist und nicht voraussehen kann, was passieren wird, wenn man um die Ecke biegt.

Wie die Titelschilder der Fotografien verraten, reist Meiller durch die Welt.
Er fotografiert oft von ungewöhnlichen Standorten aus, kreiert besondere Bildausschnitte, schafft Metaphern. In einigen seiner Bilder scheint die Zeit zu fließen, in anderen nicht zu vergehen.

Die alten Griechen unterschieden zwischen Chronos, dem bloßen Zeitablauf, und Kairos, dem erfüllten Jetzt. Es gibt sie, diese Augenblicke, die ganz erfüllt sind, und für einen Fotografen sind sie nicht nur reiner Zufall sondern das komprimierte Ergebnis langen Suchens, auch der Sehnsucht dieses Suchens. Nach einer anderen Wirklichkeit.

„Wirklichkeit ist nicht, was schlicht der Fall ist, sondern was sich unter bestimmten Bedingungen verwirklicht,“ sagt der Philosoph Bernhard Waldenfels.

Meine Damen und Herren,
Die Fotografien von Franz Meiller erzählen Geschichten von Menschen und Orten. Emotional, aber immer mit einem wachen Blick für die Komposition.
 Ich finde, Meillers Bilder sind großartige Reflexionen unserer Lebenswelt.

Und bei Malte Ubenauf finde ich folgendes Zitat:


Meillers Bildsprache und damit seine Erzählung von paradoxen Gefühlslagen, Unruhezuständen, fragilen Glücksmomenten, Alltagsritualen und gebremsten Leidenschaften ist verstörend, weil sie die Unvereinbarkeit von Begriffen und Empfindungen auf den Punkt bringt.

Dr. Ulrich Ptak
Kurator Kunsthalle Rostock

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Balance-Akte

Mein Paradox: ich bin ein obsessiver Mensch, aber meinem Geist gelingt es nicht, sich festzulegen.” Diese Worte des rumänischen Autors und Philosophen E. M. Cioran könnten eine erste Spur legen in die Sammlung der neuen Fotoarbeiten Franz Meillers in der Münchner Galerie Kampl. Eine Spur, die genau an jener scharfen und kaum sichtbaren Kante entlangführt, die das Mögliche vom Unerreichbaren trennt, das Träumen vom Wachzustand, das Übermütige von der totalen Entkräftung. Eine Kante also, die kein sanfter Übergang ist, sondern ein unüberwindbarer Riss zwischen zwei Polen der Wirklichkeit. An den Rändern dieses Risses herrscht Unvereinbarkeit. Und damit genau jener Zustand, dem zu entkommen alle verfügbaren Kräfte aufgewendet werden. Immer wieder. Und immer wieder vergebens. Denn das Einwirken widersprüchlicher Kräfte auf das Denken und Handeln sind unvermeidlich, der stets wiederkehrende Aufenthalt an den Trennlinien und Rissen des Bewusstseins zwangsläufig und schmerzhaft. Wenn Franz Meiller seine Ausstellung “Balance-Akte” nennt, dann verursacht er einen Riss in einem Wort, das eigentlich zusammengeschrieben wird. Er tut dies, weil “Balanceakte” als Einheit nicht existieren, weil keine Balance möglich ist auf der Spitze eines Messers, das Wollen, Können, Sehnen und Erleben permanent voneinander trennt. Entsprechend zeigt Meiller in seiner Ausstellung Bildergruppen äusserst gegensätzlichen Charakters. Einzeln gerahmt oder in Leuchtkästen gefasst, nebeneinander positioniert und irritierend unverbunden. Es sind spontane und inszenierte Situationen, Bilder und Dokumentationen von Theaterszenen, zufälligen Ereignissen, menschenleeren Umgebungen und vereinzelten Personen, die Meiller einander gegenüberstellt. Erzählungen von paradoxen Gefühlslagen, Unruhezuständen, fragilen Glücksmomenten, Alltagsritualen und gebremsten Leidenschaften. Fast alle Bildkonstellationen tragen sehr konkrete Titel: Christbaumschmuck, Baulücke, Prater, Fussgängerzone. Diese Einfachheit der Betitelung ist verstörend, weil sie die Unvereinbarkeit von Begriffen und Empfingungen auf den Punkt bringt. Ein Titel jedoch ist anders. Er lautet: Desirevolution (übers.: Revolution des Wollens/Wünschens). Zwar bezieht das Wort sich auf den gleichnamigen Roman Matias Faldbakkens und eine Inszenierung der Regisseurin Christiane Pohle. Auf die Gesamtheit von Meillers Arbeiten bezogen jedoch erscheint es wie die einzig vorstellbare Brücke, die eine begehbare Verbindung zwischen den disperaten Bildgruppierungen andeutet. Dies, weil Desirevolution ein Wort der Unmöglichkeit ist. Und damit Ausdruck einer Obsession des Fotografen Franz Meiller, die vielleicht noch heftiger und tiefer ist, als alle Risse und Trennlinien, die das menschliche Handeln unnachgiebig polarisieren. Eine Obsession der künstlerischen Erfindungskraft. Eine, die danach streben lässt, sich die Paradoxien anzueignen, sie zu verdrehen und ihnen neue Namen zu geben. Denn so, und nur so, könnte sie möglicherweise gelingen: eine Desirevolution.

Malte Ubenauf

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